Die Semmel, das Schatzi und ich.

Die Semmel. Sie hat viele Formen.
In ihrer schönsten Form finden wir sie als Kaisersemmel.
Ich mag den Duft von frischen Semmeln.
Sie riechen wie Weizenfelder zur Erntezeit.

Jemandem eine Semmel zu schenken, war früher eine noble Geste.
Auch galt anfangs des 20. Jahrhunderts eine Semmel als Festtagsschmaus.
Und auch ich finde die Semmel in ihrer Erscheinung majestätisch.
Sie ist golden und hat etwas Erhabenes, Besonderes.

Ich freue mich, wenn meine Semmel aussen gerade so richtig knusprig ist und innen flaumig weich.

Sie scheint perfekt zu sein.
Oder doch nicht?
Denn – so eine Semmel wird zumeist durchgeschnitten.
Waagerecht.

In zwei Hälften.
Unterschiedliche Hälften.

Und da geht es los.
Mit dem Schatzi.
Mit der Semmel.
Und mit mir.

Die obere Hälfte ist abwechselnd dick und dünn.
Sie liegt so gut in der Hand.
Sie ist knusprig und flaumig.
Sie ist meine Lieblingshälfte.

Die untere Hälfte ist eher dünn und flach.
Und sie ist auch nicht so knusprig.
Und nicht so flaumig.
Ich will die nicht.

Ja, und dann ist da das Schatzi.
Und die Liebe.
Und oft macht die Liebe etwas mit uns, das wir nicht verstehen.
Sie verleitet zum Verzicht.
Verzicht zugunsten des Schatzis.

Und so geschah es, dass ich verzichtete.
Ich verzichtete auf meine ach so heiss geliebte obere Hälfte meiner goldenen Kaisersemmel.

Und so biß ich lächelnd (und innerlich sehr unzufrieden) in die untere Hälfte meiner Semmel,
und überließ dem Schatzi meine dicke, knusprige obere Hälfte.

Und das Schatzi gab mir dafür – ganz generös – seine untere Hälfte der Semmel.
Die ich wiederum mit einem Lächeln (innerlich weinend) entgegennahm und (mittlerweile appetitlos) verzehrte (damit’s wegkommt).

So ging das eine Weile.
Also es ging Wochen, Monate und Jahre.

Aus Liebe.
Meine Liebe zu ihm.
Seine Liebe zu mir.

Es war eine sehr, sehr lange Zeit.

Und dann, irgendwann stellten wir fest:
Das Schatzi will die obere Hälfte gar nicht.
Er kann die überhaupt nicht leiden.
Nein, er will die untere Hälfte.
Er findet die toll!

Wahnsinn.
All die Jahre!
All die Semmeln!

Und so geschah es, dass sich alles zum Guten wandte.

Ich durfte die von mir geliebte obere Hälfte meiner Semmel behalten
Und ich bekam noch eine obere Hälfte dazu.

Und das Schatzi durfte die von ihm geliebte untere Hälfte seiner Semmel behalten.
Und bekam noch eine untere Hälfte dazu.

Und jetzt freuen wir uns.
Wir freuen uns darüber, dass wir so unterschiedlich sind.

Weil – unsere Unterschiedlichkeit hat viele Vorteile.
Nicht nur bei der Semmel.

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Schön verheiratet.
1. April 2009.

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